DDR-Zeitzeugin Birgit Schlicke am NG
Am 09.11.1989 fiel die Mauer. Am 03.10.1990 war die Einheit Deutschlands wieder hergestellt und die DDR hörte auf zu existieren. Das ist jetzt fast 28 Jahre her. Die meisten Jugendlichen haben heutzutage überhaupt keine Vorstellung mehr, wie es sich anfühlt, dem besten Freund oder sogar der eigenen Familie nicht vertrauen zu können, permanent überwacht zu werden, und im Fernsehen das vergleichsweise luxuriöse Leben im Westen zu sehen, während man selbst seit acht Jahren auf seinen Trabant wartet.
Die Zeitzeugin Birgit Schlicke, die das Neue Gymnasium am 08.02.2018 besuchte, hat all das und Schlimmeres erlebt. Und so hingen die Oberstufengeschichtskurse des Abschlussjahrgangs auch an ihren Lippen und lauschten interessiert den Ausführungen. Da die Familie Schlicke einen Ausreiseantrag gestellt hatte und die drei Geschwister sich zudem weigerten, der Freien Deutschen Jugend beizutreten, mussten sie sich nicht nur vor der Schulleitung verantworten, auch der Zugang zur Oberstufe war ihnen verwehrt. Arbeitslos und von der Gesellschaft isoliert begann Schlicke gemeinsam mit ihrem Vater, Briefe an eine westliche Hilfsorganisation zu schreiben. Es dauerte nicht lange, bis die Stastssicherheit von den in der DDR illegalen Tätigkeiten erfuhr und die beiden verhaftete. Nach einer dreitägigen Verhandlung landete die damals 19-jährige Birgit Schlicke 1988 im Frauengefängnis Hoheneck, in dem sie die nächsten zweieinhalb Jahre unter menschenunwürdigen Verhältnissen verbringen sollte. Ihr Vater erhielt eine viereinhalbjährige Haftstrafe in Brandenburg-Görden. Die Grundlage des Urteils war der Paragraph 99 des DDR-Strafgesetzbuches, die “illegale Nachrichtenübermittlung nicht geheimzuhaltender Nachrichten an eine Feindorganisation”.
Für politische Gefangene der DDR bestand die Hoffnung, von der BRD freigekauft zu werden, die sich für Familie Schlicke jedoch nicht erfüllte. Stattdessen fiel nach über anderthalb Jahren Haft die Mauer, die Deutschland viele Jahre lang geteilt hatte. Am 17.11.1989 kam Birgit Schlicke frei und nachdem wenige Tage später auch ihr Vater entlassen wurde, zog die Familie in den Westen.
Heute lebt sie in Wiesbaden. Sie ist Autorin des Buches “Gefangen im Stasi-Knast” und besucht regelmäßig Schulen im In- und Ausland, um von ihren Erlebnissen zu berichten und sicherzustellen, dass sich die Vergangenheit nicht wiederholt.
Die Schülerinnen und Schüler des Neuen Gymnasiums konnten wertvolle neue Einblicke gewinnen. Die Schulleitung und Geschichtsfachschaft hoffen, dass Frau Schlicke ihren interessanten Vortrag bald für nachfolgende Jahrgänge wiederholt.